In der letzten Phase des Krieges diente die Kaserne u.a. zur Unterbringung von Truppenteilen und Flüchtlingen, Vertriebenen und Verschleppten aus dem Osten. Horst Alms erinnert sich an seine Flucht aus Oppeln: ” … So landeten wir dann in Pinneberg! In der Eggerstedt-Kaserne, Block VI. … , wir waren da vielleicht an die 40 Personen. Wir wurden untergebracht im Block VI, oben im Spitzboden. Feldbetten wurden aufgestellt. Decken haben wir gekriegt … Und die Verpflegung haben wir auch in der Kantine gekriegt, in der Küche der damaligen Wehrmacht.“
Am 4.5.1945 übernahmen britische Truppen die Eggerstedt-Kaserne und benutzten sie zunächst als Auffanglager für deutsche Soldaten. Große Militärverbände hatten sich in den letzten Kriegswochen nach Schleswig-Holstein abgesetzt. Im Bereich Pinneberg wurden sie in der Eggerstedt-Kaserne erfasst und anschließend in die Gefangenenzonen weitertransportiert.
Übergabe der Kaserne (4. Mai 1945)
Mit Panzerfahrzeugen rückte eine britische Einheit in die Kaserne ein, in der neben dem Stab der Luftgau-Nachrichten-Abteilung 11 einige 100 Nachrichtenhelferinnen, ein aus Berlin verlegter Teil der Luftflotte „Reich“ sowie ein italienisches und russisches Arbeitskommando untergebracht waren. Der dienstälteste Offizier, Generalmajor Tschölsch von der Luftflotte „Reich“, und Oberstleutnant Möhl, Kommandeur der Luftgau-Nachrichten- Abteilung, führten die Übergabeverhandlungen. Mit großem Hallo begrüßten wenig später die englischen Panzerbesatzungen ihre befreiten Kameraden von der Royal Air Force.
In den nachfolgenden Tagen wurde die Kaserne Auffanglager für die von den Engländern aufgegriffenen deutschen Wehrmachtangehörigen, so daß bereits am fünften Tage nach der Übergabe 3400 Mann hier versammelt waren. Viele mußten im Freien biwakieren. Die Nachrichtenhelferinnen waren nach Hause entlassen worden. Die aus dem Osten Deutschlands fanden in den Baumschulen Unterkunft und Arbeit.“
Das Kriegstagebuch der nach Pinneberg eingerückten Formation der britischen Armee notierte für den 16. Mai 1945 u.a.: „Annähernd 600 Luftwaffenhelferinnen nach ihrer Entlassung in die Landwirtschaft eingewiesen.“ Diese Luftwaffenhelferinnen nahmen kurzfristig den Platz der abziehenden Fremdarbeiter ein und kamen in den Kasernen der Baumschulen unter.
Eine militärische Bedeutung für die eigenen Besatzungstruppen wurde der Eggerstedt-Kaserne im Gegensatz zum Uetersener “Fliegerhorst” offenbar nicht zugemessen, denn schon bald verwendete die Militärregierung sie zur Aufnahme von Displaced Persons.
Viele DP Lager — auch das Pinneberger — wurden 1945 bis 1947 von der United Nations Relief and Rehabilitation Organization (UNRRA) verwaltet. Die UNRRA-Teams verwalteten die Lager, die Militärbehörden organisierten die Rückführung der DP’s.
Die genaue Bevölkerungszahl des Kreises wurde zum ersten Male nach dem Krieg am 15.8.1945 ermittelt. Danach lebten zu diesem Zeitpunkt in der Stadt Pinneberg folgende Personengruppen:
Ansässige deutsche Bevölkerung | 14.682 |
deutsche Flüchtlingsbevölkerung | 9.753 |
Wehrmachtsangehörige und sonstige | 400 |
Zwangsverschickte und Personen nicht deutscher Nationalität | 3.189 |
Die Gesamteinwohnerzahl betrug also | 28.024 |
Am 30.6.1946 zogen die englischen Truppenteile aus der Kaserne ab.
Gleichzeitig requirierten 1946 die britischen Militärbehörden verstärkt Pinneberger Wohnungen und Häuser für den Bedarf ihrer Truppen. Dies führte in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt zu großen Problemen: Die Beschlagnahmen bedingten eine Umquartierung von etwa 1000 Personen, die nur mit größten Schwierigkeiten untergebracht werden konnten.
In der Eggerstedt-Kaserne befand sich ab Juli 1947 das Hauptquartier des 17. DPACCS (Displaced Persons Assembly Centre Control Staff). Anfang 1947 hatte eine neue Ära der Geschichte der Pinneberger Kaserne begonnen. Die “Baltische Universität” wurde von Hamburg nach Pinneberg verlegt und blieb hier bis zu ihrer Auflösung am 30.9.1949. Eines der größten Balten-Lager befand sich nach dem Krieg in Hamburg neben “Planten und Blomen”. Im Herbst 1945 genehmigten die Alliierten die Eröffnung von Schulen in Flüchtlings- und Emigrantenlagern. Ende Dezember nahm das “Baltic Study Centre” seine Arbeit im Hochhaus “Deutscher Ring” in Hamburg auf und zog im März 1946 in das Gebäude des Museums für Hamburgische Geschichte um.
Da aber das Museum für Hamburgische Geschichte bald wiedereröffnen sollte, musste die Baltische Universität erneut umziehen. “Da boten sich die zum Teil leer stehenden Bauten der ehemaligen Pinneberger Luftwaffen-Kaserne an. Am 27. Januar 1947 begann der Vorlesungsbetrieb in Pinneberg.”
Eine Aufstellung der Belegung der Kaserne ist vom 15.11.1947 erhalten:
DPACCS Staff | 8 |
Baltic teaching staff | 159 |
& families | 133 |
Admin. staff | 76 |
Baltic students | 805 |
Westward Ho Dependants | 64 |
Other DP’s | 455 |
Summe | 1700 |
Aufschlüsselung der 159 Professoren:
Philosophy | 34 |
Law & Economy | 16 |
Mathematics | 31 |
Agriculture | 19 |
Architecture & Engineering | 21 |
Chemistry | 7 |
Mechanics | 11 |
Sports & Music | 7 |
In Pinneberg existierten also zeitweilig zwei Lager nebeneinander: das Study Centre (“Baltische Universität”) und — ebenfalls in der Eggerstedt-Kaserne — das Lager Eggerstedt Barracks.
In der ersten Jahreshälfte 1948 gab es diverse Standortwechsel der unterschiedlichen Bildungseinrichtungen aus dem Umland nach Pinneberg.
Für Juni 1948 gibt der Welfare-Report die genaue Belegung der Kaserne an:
Pinneberg DP STUDY CENTRE | 810 BALTICS |
Pinneberg POLISH STUDY CENTRE | 101 POLES |
POLISH SECONDARY SCHOOL | 118 POLES |
EGGERSTEDT Camp | 227 LATVIANS |
In der Pinneberger Kaserne fand ein reges kulturelles Leben statt. Im Juli veranstaltete eine Gruppe lettischer Opernsolisten ein Konzert. Außerdem fanden im Lager Tanzveranstaltungen statt, zu denen auch Bewohner nahegelegener Lager eingeladen wurden. In mehreren Berichten werden Musikveranstaltungen, Musikunterricht, Filmvorführungen, Ausstellungen, Vorträge und Diskussionsgruppen erwähnt. Im Mai 1948 war sogar die Rede von einem Musikstudio mit 21 Schülern. Die Bibliotheken und Leseräume der Pinneberger Study Centres standen allen Lagerbewohner*innen offen.
Die Hoffnung der Pinneberger auf Freigabe der Kaserne nach Auflösung der Baltischen Universität Ende September 1949 erfüllte sich nicht: “Auch die Anlage der früheren Kaserne, in der die jetzt aufgelöste Baltische Universität untergebracht war, bleibt weiter als Lager für heimatlose Ausländer beschlagnahmt.
In der Kaserne blieben überwiegend polnische DP’s zurück. Der britische Kreis Resident Officer vermerkt im Monatsbericht Juli/August 1949. “The Polish element of the DP population still continues to give trouble.”
Anfang 1950 meldete das “Pinneberger Tageblatt”, dass ab 30.6.1950 die internationale Flüchtlingsorganisation IRO ihre Sonderbetreuung heimatloser Ausländer einstellen werde. Am 1.7.1950 ging das DP-Lager in die deutsche Verwaltung über.
Da damit zahlreiche Probleme verbunden waren, regelte ein umfangreiches Schreiben die “Eingliederung der DP’s in die deutsche Verwaltung”. “Beabsichtigt ist, alle DP’s vor dem 31.5.1950 in die deutsche Wirtschaft zu überführen, welche nicht tatsächlich schon zur Auswanderung aufgefordert sind und in einem Auswanderungslager sich befinden.” In den Richtlinien werden die deutschen Behörden aufgefordert, für die lückenlose Gleichstellung der DP’s mit der deutschen Bevölkerung zu sorgen.
Für die Stadt Pinneberg von besonderer Bedeutung war eine Übereinkunft der britischen Behörden mit der Landesregierung, die in Schleswig-Holstein verbliebenen 10 750 DP’s “entsprechend des Fassungsvermögens der Kreise” aufzuteilen. Das hatte zur Folge, dass zwischen 1.April und 20. April 400 zusätzliche DP’s aus dem Lager Spakenberg (Lauenburg) nach Pinneberg umgesiedelt wurden.
Am 30.6.1950 endete die Geschichte des britischen Displaced Persons Assembly Centre und die Kaserne kam wieder unter deutsche Verwaltung.
Ab 1957 wurden die Bewohner der Kaserne gezielt umgesiedelt, da die Bundeswehr Bedarf angemeldet hatte. “In den 6 Wohnblocks mit 277 Wohnräumen und 5 Wohnungen wohnten am 31.12.1957 noch 379 heimatlose Ausländer, 26 mit deutscher Staatsangehörigkeit und 61 deutsche Flüchtlingsfamilien mit 238 Personen. Von den heimatlosen Ausländern waren 257 Polen, 27 Letten, 17 Litauer, 3 Esten, 4 Russen, 29 Ukrainer, 32 Jugoslawen und 10 Sonstige…” Viele der ehemaligen DP’s zogen in Wohnungen des “Widerstandsviertels” um und haben sich mittlerweile, genau wie ehemalige Flüchtlinge und andere Zu- und Einwanderer, als Pinneberger Bürger*innen assimiliert.