Die Eisenbahn war wie überall in Europa auch in Schleswig-Holstein das eigentliche Symbol für die Modernisierung im 19. Jahrhundert. Mit ihrer Möglichkeit, große Gütermengen preisgünstig in kurzer Zeit über weite Strecken transportieren zu können, wurde sie zum Schrittmacher der Industrialisierung. In der wirtschaftlichen Aufschwungsphase nach den napoleonischen Kriegen gründeten sich Ende der 1820er Jahre die ersten Industriebetriebe in Schleswig-Holstein. Bei der Standortwahl war eine gute Verkehrsanbindung besonders wichtig.
Von Reinhard Schlifke.
Wie aber sah der Straßenverkehr um 1830 aus? Einem traditionell gut ausgebauten Wasserstraßennetz standen hoffnungslos unterentwickelte Landverkehrswege gegenüber. In Schleswig-Holstein waren meist nur einfache Sandwege vorhanden, die teilweise jahrhundertealte Tradition hatten. Es handelte sich um die so genannten Ochsen- und Heerwege, auf denen seit dem ausgehenden Mittelalter das Vieh zu den Markten in der Unterelberegion getrieben wurde. Viele Land-straßen waren lediglich mehr oder weniger ausgefahrene Wagenspuren. Der allgemein katastrophale Zustand ließ eine Nutzung meist nur während der Frostperiode und im Sommer bei entsprechender Trockenheit zu. Auf diesen Wegen war keine große Geschwindigkeit zu erreichen. Die holsteinische Extrapost soll nicht schneller als 5,6 Kilometer pro Stunde gefahren sein. Im Frachtverkehr war die Beladung eines Fuhrwerks mit höchstens 0,75 bis 1 Tonne möglich. Eine erste Verbesserung im Landverkehr brachte die Chaussee von Altona nach Kiel, die 1832 eingeweiht wurde. Die Anlage dieser Chaussee hatte aber für Pinneberg fatale Folgen. Die hiesigen Gastwirtschaffen, Herbergen und Handwerker, denen der Durchgangsverkehr auf der durch den Ort führenden alten Kopenhagener Landstraße ein ausreichendes Einkommen gesichert hatte, bekamen die Verlagerung des Verkehrs auf die neue Chaussee besonders stark zu spüren. Die wirtschaftliche Entwicklung Pinnebergs kam für etliche Jahre fast zum Stillstand. Erst durch den Eisenbahnbau ein Jahrzehnt später sollte der Ort ein erneutes Aufblühen erleben.
Die erste Nutzung der Dampfmaschine zum Antrieb eines schienengebundenen Verkehrsmittels erfolgte 1830 in England. Kaum hatte dort die erste Eisenbahn zwischen Liverpool und Manchester ihre Feuerprobe bestanden, wurden bereits Pläne über den Bau von Eisenbahnen in Holstein bekannt. Das erste Projekt 1831, eine Verbindung von Hamburg und Lübeck, wurde aus wirtschaftlichen Gründen von der Regierung in Kopenhagen abgelehnt. Der Nord-Ostsee Transitverkehr sollte von den Hansestädten fern gehalten werden. 1835 gründete man eine Eisenbahnkommission. Zur Diskussion standen mehrere Routen. Die Linie Altona-Kiel erhielt schließlich den Vorzug, weil sie die günstigste hinsichtlich Verkehrsaufkommen und Rentabilität zu sein schien. Nach vielem Hin und Her kam die Finanzierung 1842 zustande. Die Ausgabe der Aktien konnte beginnen. Pinneberg zeichnete 50 Aktien und erhielt den ersten Bahnhof an der Strecke nach Kiel. Als sichergestellt war, dass die Eisenbahnlinie gebaut werden würde, begannen sich wie in anderen Orten auch in Pinneberg neue Gewerbebetriebe wie die Posamentierwarenfabriken Dibbern und Mahr, die Sägemühle v. Pein, die Stoutsfabrik Carstens & Koch sowie die Zigarrenfabrik Heydorn anzusiedeln. Auch der Eisenbahnbau selbst brachte einen Innovationsschub für die junge Industrie. So konnten Unternehmen aus Holstein bereits Reise- und Güterwagen sowie Tender und Weichen liefern. Lokomotiven und Schienen mussten allerdings noch aus England bezogen werden.
Am 18. September 1844 konnte die „König Christian VIII Ostseebahn“ feierlich eröffnet und in Betrieb genommen werden. Der Verkehr entwickelte sich günstiger als erwartet. Im ersten Betriebsjahr wurden 372182 Personen und 1219980 Zentner Güter befördert, im zweiten Jahr hatten sich diese Zahlen schon verdoppelt. Die Reisezeit betrug gegenüber der Chaussee nur noch ein Drittel, die Frachtkosten verringerten sich auf ein Zehntel. Eine Fahrkarte dritter Klasse von Altona nach Pinneberg kostete 35 Pfennig. Die Strecke war zunächst eingleisig und wurde im Bereich Pinneberg erst 1863 zweigleisig ausgebaut. Der Verlust der Zollprivilegien Altonas 1853 brachte Pinneberg einen erneuten Industrialisierungsschub. Zahlreiche Altonaer Unternehmen verlegten ihre Fabrikationsstätten nach Pinneberg, um sich das dänische Absatzgebiet erhalten zu können. Weitere Betriebe wurden neu in Pinneberg gegründet, wie die Maschinenfabrik Scharffenberg, das Union Eisenwerk, die Ofenfabrik Pumplün und die Eisengießerei Schneider. Im Jahre 1866 erhielt das Eisenbahnnetz Schleswig-Holsteins durch den Bau der Hamburg-Altonaer Verbindungsbahn Anschluss an das deutsche Eisenbahnnetz. Dies war eine wichtige Voraussetzung für die Umorientierung der Wirtschaft der Herzogtümer auf den deutschen Wirtschaftsraum nach der Loslösung von Dänemark 1864 und der Eingliederung in Preußen 1867.
In Pinneberg war durch die Lage etlicher Industriebetriebe unmittelbar an der Bahnstrecke die Anschlussmöglichkeit an das Schienennetz in idealer Weise gegeben. So entstanden um 1880 die Werksgleise von Warncke, dem Union-Eisenwerk sowie dem Holzlagerplatz Roeper. Das 1899 neu erbaute Wupperman Werk II am Peiner Weg erhielt 1904 ebenfalls einen Gleisanschluss. Die übrigen Fabriken bedienten sich der Güteranlagen am Bahnhof. Vor dem Güterschuppenanbau am Bahnhof war ein Ladegleis verlegt. Daran schloss sich im Bereich der heutigen S‑Bahngleise ein Lagerplatz mit Freiladegleis und Viehrampe an. 1899 erfolgte die Erweiterung des Anschlusses Wupperman mit einem Freiladegleis und einer öffentlichen Ladestraße bis zum Bahnübergang Rübekamp. Bis zur Jahrhundertwende hatte sich der Güterverkehr erheblich gesteigert. 1897 wurden fast 10000 Tonnen Kohle in Pinneberg angeliefert. Der sonstige Güterumschlag, wie die Anlieferung von Rohstoffen und der Versand von Erzeugnissen der Pinneberger Industriebetriebe, hatte noch einmal den gleichen Umfang. Damit war die Kapazität der wenigen Güteranlagen erschöpft. Der Fahlt gegenüber dem Bahnhof wurde abgeholzt. Dort errichtete man 1907 den neuen Güterbahnhof mit Güterschuppen, mehreren Ladestraßen, einer Viehrampe und zwei Kopftampen. 1913 entstand am Güterbahnhof die Norddeutsche Maschinenfabrik, die spätere ILO.