Dauerausstellung, Wirtschaft

Mit drei Pferdewagen nach Pinneberg – Die Geschichte der ILO Motorenwerk GmbH

Aus für ILO“ titel­te am 20. Novem­ber 1990 das PINNEBERGER TAGEBLATT, und am 31. Dezem­ber 1990 schloss das tra­di­ti­ons­rei­che Unter­neh­men für immer sei­ne Pfor­ten. Damit ende­te eine fast 80-jäh­ri­ge Fir­men­ge­schich­te, in deren Ver­lauf der Pin­ne­ber­ger Betrieb zu einem der füh­ren­den Unter­neh­men im Zwei­takt­mo­to­ren­bau wur­de. Mit bis zu 1600 Beschäf­tig­ten war das Werk für vie­le Jah­re größ­ter Arbeit­ge­ber in der Region.

Von Jür­gen Eggert.

Vorführung ILO Gleisbaumaschinen

Hein­rich Chris­ti­an­sen (4. v.l.) beob­ach­tet die Vor­füh­rung sei­ner Gleisbaumaschinen

Die Wie­ge des Betriebs stand in Alto­na. Dort hat­te Fir­men­grün­der Hein­rich Chris­ti­an­sen im Alter von 35 Jah­ren 1911 eine in Kon­kurs gera­te­ne Maschi­nen­fa­brik erwor­ben. Unter dem Fir­men­na­men „Nord­deut­sche Maschi­nen­fa­brik GmbH.“ beschäf­tig­te man zunächst ca. 20 Mit­ar­bei­ter. Gefer­tigt wur­den ins­be­son­de­re Gerä­te für den Gleis- und Brü­cken­bau der Deut­schen Reichs­bahn. Das kai­ser­li­che Deutsch­land erkämpf­te sei­nen Platz unter den gro­ßen Welt­mäch­ten auch durch eine enor­me mili­tä­ri­sche Auf­rüs­tung. Sie stei­ger­te die Nach­fra­ge nach Rüs­tungs­gü­tern in der deut­schen Wirt­schaft stark. Die grau­sa­men Mate­ri­al­schlach­ten des 1. Welt­kriegs und die Blo­cka­de der deut­schen Impor­te führ­ten zu Lie­fer­eng­päs­sen und einer staat­li­chen Len­kung der Rüs­tungs­pro­duk­ti­on, in die auch klei­ne und mitt­le­re Unter­neh­men ein­ge­bun­den wur­den. So bestand ein wesent­li­cher Teil des Fer­ti­gungs­vo­lu­mens der Nord­deut­schen Maschi­nen­fa­brik aus Rüs­tungs­gü­tern wie Minenwerfer‑, Geschütz- und Geschoss­tei­le sowie Mund­loch­büch­sen. Für das Jahr 1915 ver­zeich­ne­te der Geschäfts­be­richt eine fast aus­schließ­li­che Abar­bei­tung von Auf­trä­gen der Heeresverwaltung.

Heinrich Christiansen

Hein­rich Christiansen

Schon zwei Jah­re nach Fir­men­grün­dung waren die Betriebs­räu­me in Alto­na zu klein gewor­den. Hein­rich Chris­ti­an­sen erwarb ein Grund­stück am Bahn­hof Pin­ne­berg. Nicht nur die ver­kehrs­tech­nisch güns­ti­ge Lage am Schie­nen­netz der Reichs­bahn, son­dern auch die Chan­ce zu zukünf­ti­ger räum­li­cher Expan­si­on waren wich­ti­ge Grün­de für die­se Ent­schei­dung. Für die Fer­ti­gung wur­de eine klei­ne Hal­le errich­tet. Die Ver­wal­tung fand Unter­kunft in einem Vor­bau. Die bebau­te Flä­che betrug 412 qm. Der damals noch beschei­de­ne Fer­ti­gungs­um­fang doku­men­tier­te sich auch im Umzugs­vo­lu­men. Als man 1913 die neu­en Räu­me in Pin­ne­berg bezog, reich­ten für den Trans­port der Maschi­nen drei Pfer­de­wa­gen, wie sich spä­ter ein Meis­ter erin­ner­te. Auch wäh­rend des 1. Welt­kriegs wur­de die für die Reichs­bahn ent­wi­ckel­te Gleis­stopf­ma­schi­ne wei­ter ver­bes­sert, ein Gerät, das beim Eisen­bahn­bau zur Ver­dich­tung des Schot­ters zwi­schen den Schwel­len genutzt wur­de. 1918 kon­stru­ier­te man einen Zwei­takt­mo­tor, der das Gerät kos­ten­güns­ti­ger und unab­hän­gig von einer zen­tra­len Kraft­quel­le mach­te. Dies war die Geburts­stun­de des ILO Motors.

Das Kriegs­en­de 1918 brach­te für den Betrieb gro­ße wirt­schaft­li­che Pro­ble­me. Die Rüs­tungs­auf­trä­ge ende­ten schlag­ar­tig und neue Auf­trä­ge an so genann­ten Frie­dens­pro­duk­ten kamen zunächst nur spär­lich. Vie­le Arbei­ter muss­ten ent­las­sen wer­den. Aber die Gleis­stopf­ma­schi­ne brach­te in den Fol­ge­jah­ren gute Ver­kaufs­er­fol­ge sodass mit wach­sen­den Auf­trä­gen auch im Hin­blick auf eine län­ger­fris­ti­ge Bedarfs­pla­nung der Reichs­bahn für den noch klei­nen Betrieb Kapa­zi­täts- und Finan­zie­rungs­pro­ble­me ent­stan­den. 1921 ent­schloss sich Hein­rich Chris­ti­an­sen zu einem Ver­kauf des Patents an die Krupp AG, und die Pro­duk­ti­on der Gleis­stopf­ma­schi­nen in Pin­ne­berg ende­te Mit­te 1922. Nun kon­zen­trier­te sich der Betrieb mit Erfolg auf den Bau von Zwei­takt­mo­to­ren. Auf der ADAC Deutsch­land­fahrt erreich­ten 1924 zwei mit ILO Moto­ren aus­ge­rüs­te­te Kraft­rä­der den ers­ten und zwei­ten Platz. Ein wei­te­res wich­ti­ges Stand­bein wur­den Moto­ren für Klein­last­wa­gen, die zuneh­mend Trans­port­auf­ga­ben ins­be­son­de­re auf kür­ze­ren Stre­cken über­nah­men. Fast alle wich­ti­gen deut­schen Her­stel­ler setz­ten die Moto­ren in ihren Fahr­zeu­gen ein. 1927 wur­de ein Fahr­rad­hilfs­mo­tor ent­wi­ckelt. Er war einer der ers­ten leis­tungs­fä­hi­gen Antrie­be für Fähr­rä­der. Ab 1929 wur­den eben­falls Klein­ver­bren­nungs­kraft­ma­schi­nen für den Ein­satz im land­wirt­schaft­li­chen Bereich, z.B. für Motor­ha­cken und Pum­pen ange­bo­ten. Das Pro­duk­ti­ons­vo­lu­men wuchs. 1928 war bereits eine bebau­te Flä­che von 1437 qm vorhanden.

Schon 1913 ließ Hein­rich Chris­ti­an­sen beim Kai­ser­li­chen Patent­amt das Mar­ken­zei­chen ILO ein­tra­gen und ver­wen­de­te es für sei­ne Pro­duk­te. Der Begriff Ilo stammt aus der Kunst­spra­che Espe­ran­to und bedeu­tet „Werk­zeug“. Hein­rich Chris­ti­an­sen war mit vie­len ande­ren sei­ner Zeit der Mei­nung, dass eine Welt­spra­che Espe­ran­to Ver­stän­di­gung und Ver­ständ­nis von Men­schen und Natio­nen unter­ein­an­der ver­bes­sern wür­de. 1930 fand der Begriff ILO auch Ein­gang in den Firmennamen.

In den 30er Jah­ren sind Moto­ren für Drei­rad­lie­fer­wa­gen der weit­aus größ­te Umsatz­trä­ger. Z.B. in den Model­len Tem­po (Vidal + Sohn) und Goli­ath (Borg­ward) lie­fen Moto­ren von ILO. 1931 brach­te man nach lan­ger Ent­wick­lungs­zeit einen Ein­rad­wa­gen­schie­ber zum Ver­schie­ben von Eisen­bahn­wag­gons auf den Markt. Er wur­de eben­falls vie­le Jah­re erfolg­reich ver­kauft. Aber ILO Zwei­rad­mo­to­ren hat­ten immer stär­ker gegen die Kon­kur­renz von NSU, DKW, SACHS und ande­ren zu kämp­fen. In der Fer­ti­gung wur­de der Betrieb der Werk­zeug­ma­schi­nen von einem Trans­mis­si­ons­an­trieb auf direk­ten elek­tri­schen Antrieb umge­stellt. 1933 wur­de das vom Ham­bur­ger Archi­tek­ten Rudolf Lod­ders ent­wor­fe­ne und heu­te unter Denk­mal­schutz ste­hen­de Ver­wal­tungs­ge­bäu­de bezo­gen. Zu die­sem Zeit­punkt beschäf­tig­te das Unter­neh­men ca. 150 Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter. Die Anzahl der Beschäf­tig­ten wuchs bis 1939 auf 300.

Auch wäh­rend des 2. Welt­kriegs fer­tig­te man fast aus­schließ­lich Moto­ren. Da die­se jedoch auch für ver­schie­de­ne mili­tä­ri­sche Zwe­cke Ver­wen­dung fan­den, wur­de das Werk zum Rüs­tungs­be­trieb erklärt und Hein­rich Chris­ti­an­sen trotz Distanz zu den Natio­nal­so­zia­lis­ten zum Wehr­wirt­schafts­füh­rer ernannt. In der Fer­ti­gung wur­den, wie in ande­ren Betrie­ben, auch ca. 170 Fremd­ar­bei­ter zwangs­wei­se ein­ge­setzt. Sie waren in Bara­cken auf dem Werks­ge­län­de unter­ge­bracht. Die Werks­an­la­gen blie­ben zwar auch im Cha­os der letz­ten Kriegs­ta­ge von Bom­ben­schä­den ver­schont, aber das Kriegs­en­de im Mai 1945 bedeu­te­te für das Unter­neh­men und sei­ne Mit­ar­bei­ter die Stun­de „0“ mit unge­wis­ser wirt­schaft­li­cher und per­sön­li­cher Zukunft.

Pinneberg – Hochburg des Zweitakters

8. Mai 1945 – In Deutsch­land schwie­gen die Waf­fen, aber das Land lag in Trüm­mern. Trotz der Nähe zu Ham­burg waren die ILO Werks­an­la­gen bei Kriegs­en­de voll ein­satz­be­reit. Auch eine Demon­ta­ge durch die eng­li­sche Besat­zungs­macht fand nur in unwe­sent­li­chem Umfang statt. Aber an eine Auf­nah­me der tra­di­tio­nel­len Moto­ren­pro­duk­ti­on war auf­grund man­geln­der Nach­fra­ge zunächst nicht zu den­ken. 250 Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter fer­tig­ten Krü­cken, Eier­be­cher, Feu­er­zeu­ge und sons­ti­ge Gegen­stän­de des täg­li­chen Bedarfs. Für eini­ge Zeit wur­den Moto­ren der eng­li­schen Rhein­ar­mee repa­riert. Ers­te Auf­trä­ge für Fahr­zeug­mo­to­ren kamen eben­falls von der Besatzungsmacht.

ILO Rosenfest 1950

Rosen­fest 1950: Zur Glanz­zeit der 2‑Takt-Moto­ren pas­siert eine gan­ze Kolon­ne mit JLO-Moto­ren aus­ge­rüs­te­ter Fahr­zeu­ge die Dingstätte.

Als ehe­ma­li­gem Wehr­wirt­schaft­füh­rer ent­zog die Mili­tär­ver­wal­tung Hein­rich Chris­ti­an­sen sen. die Lei­tung sei­nes Betriebs und ver­bot ihm das Betre­ten der Werks­räu­me. Er war damals 69 Jah­re und zog sich ver­bit­tert in sein Land­haus in Süder-Dith­mar­schen zurück. Obwohl ihn das ein­ge­lei­te­te Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­ren spä­ter als „nicht belas­tet“ ein­stuf­te, kam er nur noch sel­ten in sei­ne Fir­ma. Er starb im März 1949 nach einer Gal­len­ope­ra­ti­on. Chris­ti­an­sen gilt noch heu­te als einer der Pio­nie­re der Moto­ri­sie­rung Deutschlands.

Seit 1946 hat­te sein Sohn Hein­rich Chris­ti­an­sen jun. die Lei­tung des Unter­neh­mens über­nom­men. 1948 trat die­ser auch als per­sön­lich haf­ten­der Gesell­schaf­ter in die Fir­ma ein. Die ers­ten Zwei­rad­mo­to­ren für den indus­tri­el­len Bedarf wur­den 1947, zunächst in beschei­de­nem Umfang, gefer­tigt. Auch Vidal + Sohn in Har­burg begann erneut mit einer noch klei­nen Pro­duk­ti­on sei­ner TEM­PO-Drei­rad­last­fahr­zeu­ge und bau­te wei­ter­hin ILO Moto­ren ein. Aber die Wäh­rungs­re­form und die teil­wei­se Auf­he­bung der Zwangs­be­wirt­schaf­tung brach­te 1948 für die deut­sche Wirt­schaft einen enor­men Auf­schwung und setz­te zudem eine Moto­ri­sie­rungs­wel­le in Gang. Sie begann für die brei­te Mas­se meist mit dem Kauf eines Motor­rads oder eines Motor­fahr­rads. ILO erleb­te in den fol­gen­den Jah­ren einen Nach­fra­ge­boom, aber man war für die neue Her­aus­for­de­rung gut gerüs­tet. Das vor­han­de­ne Moto­ren­pro­gramm aus den Vor­kriegs­jah­ren wur­de wei­ter ver­bes­sert. Vie­le Motor­rad­her­stel­ler ent­schie­den sich für den ILO-Motor. Dar­un­ter waren bekann­te Kon­fek­tio­nä­re wie z.B. UT, Her­cu­les, Rixe, Bas­tert, Göri­cke, Bücker, Tor­nax, Mai­co, Dür­kopp und Raben­eick. Zwi­schen 1947 und 1950 stieg die Zahl der pro­du­zier­ten Moto­ren von 6.300 auf 56.700. Die Zahl der Beschäf­tig­ten war auf über 600 gewach­sen. Obwohl teil­wei­se in drei Schich­ten gear­bei­tet wur­de, reich­te die vor­han­de­ne Pro­duk­ti­ons­flä­che nicht mehr aus. Sie wur­de 1950 auf 8.750 m² ver­dop­pelt. Ein wei­te­res Werk ent­stand in Mün­chen. Die rasant wach­sen­de Nach­fra­ge nach Zwei­takt­mo­to­ren für Zwei- und Mehr­rad­fahr­zeu­ge führ­te zu einer ein­deu­ti­gen Schwer­punkt­bil­dung bei Fahr­zeug­mo­to­ren. Der wohl bekann­tes­te und erfolg­reichs­te Motor des Werks war der JLO Twin (M 2 x 125). Mit ihm bot ILO einen Ein­baum­o­tor für die 250er Klas­se an.

Luftbild JLO 50er Jahre

Luft­bild JLO 50er Jahre

Die Pro­duk­ti­ons­zah­len stie­gen auch zu Beginn der 50er Jah­re wei­ter. 1955 ver­lie­ßen 184.000 Moto­ren das Werk. 1.500 Beschäf­tig­te hat­ten ihren Arbeits­platz bei ILO. Damit war man nicht nur größ­ter Arbeit­ge­ber im Raum Pin­ne­berg, son­dern auch Deutsch­lands größ­ter Her­stel­ler für Zwei­takt­mo­to­ren. Wei­ter im Ver­kaufs­pro­gramm war der bereits vor dem Krieg ent­wi­ckel­te und wei­ter ver­bes­ser­te Ein­rad­wa­gen­schie­ber. Für eini­ge Jah­re bau­te ILO eben­falls Moto­ren für den legen­dä­ren Ves­pa Motor­rol­ler in Lizenz.. Das Unter­neh­men inves­tier­te in gro­ßem Umfang in Anla­gen und Gebäu­de. Auf dem Gelän­de an der Müh­lenau ent­stand ein neu­es Ent­wick­lungs­werk für die Kon­struk­ti­on und Ver­suchs­prü­fung der Moto­ren. Ein neu­es Büro­ge­bäu­de wur­de 1952 bezogen.

Aber Mit­te der 50er Jah­re ende­te der Boom für moto­ri­sier­te Zwei­rä­der abrupt. Zahl­rei­che Motor­rad­her­stel­ler mel­de­ten Kon­kurs an, denn das Auto begann sei­nen Sie­ges­zug auch im pri­va­ten Bereich. Die Fer­ti­gung von Motor­rad- und Rol­ler­mo­to­ren lief 1959 aus. Für das Unter­neh­men ent­stand eine kri­ti­sche Situa­ti­on, denn das Pro­gramm der Indus­trie­mo­to­ren war in den Jah­ren des Zwei­rad­booms ver­nach­läs­sigt wor­den. Es muss­te nun mit hohem Inves­ti­ti­ons­auf­wand an die Anfor­de­run­gen des Mark­tes ange­passt wer­den. Dies gelang, aber zunächst ver­lor fast 1/3 der Mit­ar­bei­ter den Arbeits­platz im ILO Werk. Der Per­so­nal­stand sank bis 1957 von 1.600 auf 1.000. Das Unter­neh­men geriet zudem an die Gren­zen sei­ner Finan­zie­rungs­mög­lich­kei­ten. Auch war die Gesund­heit von Fir­men­eig­ner Hein­rich Chris­ti­an­sen jun. stark ange­grif­fen, und er ent­schloss sich zu einem Ver­kauf des Unternehmens.

Am 17. Sep­tem­ber 1957 mel­de­te das PINNEBERGER TAGEBLATT: „ILO-Wer­ke in ame­ri­ka­ni­scher Hand“. Mit der Rock­well Manu­fac­tu­ring Com­pa­ny war ein Käu­fer gefun­den, der neu­es Kapi­tal, neue Pro­duk­te (Arma­tu­ren, Ven­ti­le und Flüs­sig­keits­zäh­ler für Groß­an­la­gen) und viel­leicht auch ver­bes­ser­te Chan­cen auf dem ame­ri­ka­ni­schen Markt mit­brach­te. Hein­rich Chris­ti­an­sen jun. ver­blieb als Geschäfts­füh­rer bis 1960 wei­ter­hin im Unter­neh­men. Der Pin­ne­ber­ger Bür­ger­meis­ter Glissmann zeig­te sich ange­sichts der wirt­schaft­li­chen Bedeu­tung des Unter­neh­mens opti­mis­tisch über das Enga­ge­ment der Ame­ri­ka­ner. Die­ser Opti­mis­mus wur­de durch die Ent­wick­lung in den Fol­ge­jah­ren auch bestä­tigt. Es wur­de eine neue Fer­ti­gungs­hal­le für Arma­tu­ren gebaut. Das Geschäft mit Indus­trie­mo­to­ren ent­wi­ckel­te sich posi­tiv. Die Zahl der Beschäf­tig­ten war wie­der auf 1200 gestie­gen. Schon 1963 reich­te die Pro­duk­ti­ons­flä­che nicht mehr aus. Man beschloss die Arma­tu­ren­fer­ti­gung in ein neu­es Werk nach Pris­dorf auszulagern.

Ca. 1960 began­nen Über­le­gun­gen zur Ent­wick­lung von Schnee­schlit­ten­mo­to­ren, ins­be­son­de­re für den nord­ame­ri­ka­ni­schen und skan­di­na­vi­schen Markt. In den USA und Kana­da war der Schnee­schlit­ten zu einem Sport­ge­rät für betuch­te Lieb­ha­ber schnel­ler Kufen gewor­den. Seit 1963 inves­tier­te das Unter­neh­men in erheb­li­chem Umfang in die­ses Geschäft. Ein attrak­ti­ves Moto­ren­pro­gramm stand bald zur Ver­fü­gung. Und die Erfol­ge blie­ben nicht aus. Ab 1965 lief der Absatz in grö­ße­ren Stück­zah­len und ent­wi­ckel­te sich in den Fol­ge­jah­ren präch­tig. Auch für die Zukunft ging die Geschäfts­füh­rung 1968 von einer dyna­mi­schen Wei­ter­ent­wick­lung des Schnee­schlit­ten­mark­tes mit über­durch­schnitt­li­chen Zuwachs­ra­ten aus. Für 1969 mel­de­te ILO eine Pro­duk­ti­on von 283.000 Motoren.

Produktionsrekorde, stürmische Jahre und der Niedergang

Die zwei­te Hälf­te der 60er Jah­re brach­ten für ILO neue Absatz- und Pro­duk­ti­ons­re­kor­de. Der Ver­kauf von Schnee­schlit­ten­mo­to­ren nach Nord­ame­ri­ka stieg auf 40.000 Stück p.a.. Das waren 50 % des gesam­ten ILO Exports. 1968 wur­de eine neue Drück­gie­ße­rei gebaut. Damit stieg die bebau­te Flä­che auf über 20.000 m². Die gro­ße Nach­fra­ge nach ILO-Moto­ren erfor­der­te von den Beschäf­tig­ten höchs­ten Ein­satz. Inten­siv such­te man mit groß­for­ma­ti­gen Anzei­gen auf einem „leer­ge­feg­ten“ Arbeits­markt nach wei­te­ren Fach­ar­bei­tern. Auch vie­le Gast­ar­bei­ter, ins­be­son­de­re aus dem ehe­ma­li­gen Jugo­sla­wi­en, kamen nach Pin­ne­berg. Und ILO zahl­te, sehr zum Ärger klei­ne­rer Metall­be­trie­be in der Regi­on, Spit­zen­löh­ne und bot attrak­ti­ve Sozi­al­leis­tun­gen. Auch die Inves­ti­tio­nen erreich­ten Rekord­hö­hen. Sie betru­gen 1969 10 Mil­lio­nen DM. Allein Umbau und Erwei­te­rung der Sozi­al­räu­me kos­te­ten 500.000 DM. Mit einem Kos­ten­auf­wand von 1,5 Mil­lio­nen DM wur­de ein neu­es, voll­au­to­ma­ti­sches Hoch­re­gel­la­ger errich­tet. Auf einer Betriebs­ver­samm­lung im April 1969 sah die Geschäfts­füh­rung auch für die nächs­ten Jah­re stei­gen­de Umsät­ze, nicht zuletzt wegen wei­ter­hin posi­ti­ver Erwar­tun­gen für den Schnee­schlit­ten­markt. Man woll­te erst­mals im Umsatz die 100 Mil­lio­nen errei­chen. Der auf der glei­chen Ver­an­stal­tung ange­kün­dig­te Ein­bau einer Sau­na inner­halb der betrieb­li­chen Sozi­al­räu­me wur­de von den Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern mit gro­ßem Bei­fall begrüßt.

Luftbild des ILU-Werks um 1970

Luft­bild des ILU-Werks um 1970

Aber auch ohne Sau­na­be­such kam die Geschäfts­lei­tung in den Fol­ge­jah­ren kräf­tig ins Schwit­zen. Am bis­her blau­en Absatz­him­mel waren dunk­le Wol­ken auf­ge­zo­gen. Der Umsatz mit Schnee­schlit­ten­mo­to­ren ging 1971 dra­ma­tisch zurück. Der japa­ni­schen Kon­kur­renz war es gelun­gen, mit qua­li­ta­tiv guten und preis­wer­ten Moto­ren auch in die Export­märk­te von ILO ein­zu­bre­chen. Zudem führ­ten Über­ka­pa­zi­tä­ten bei der Moto­ren­pro­duk­ti­on welt­weit zu einem Preis­ver­fall und die Auf­wer­tung der DM erschwer­te das Aus­lands­ge­schäft. Die Pro­ble­ma­tik wird deut­lich an der Ent­wick­lung des Pro­duk­ti­ons­vo­lu­mens. 1969 lie­fer­te ILO 283.000 Moto­ren. 1970 waren es nur noch 128.300. Nun räch­te sich die star­ke Kon­zen­tra­ti­on auf ein Pro­dukt und einen Markt. Der Ver­kauf von Indus­trie­mo­to­ren war in den Jah­ren des Schnee­schlit­ten­booms fort­ge­setzt wor­den. Aber neue Pro­duk­te, die die Umsatz­lü­cke schlie­ßen konn­ten, stan­den zumin­dest kurz­fris­tig nicht zur Ver­fü­gung, denn der Schwer­punkt der Pro­dukt­ent­wick­lung und wei­te­rer Inves­ti­tio­nen hat­te ein­deu­tig bei Schnee­schlit­ten­mo­to­ren gele­gen. Es folg­ten stür­mi­sche Jah­re, in denen einer der Arbeits­schwer­punk­te auf dem Per­so­nal­ab­bau lag. Denn für die Beschäf­tig­ten bedeu­te­te das feh­len­de Pro­duk­ti­ons­vo­lu­men den Ver­lust von Arbeits­plät­zen. Mit nor­ma­ler Fluk­tua­ti­on, Kurz­ar­beit und Abbau von Über­stun­den war die Aus­las­tungs­lü­cke nicht zu schlie­ßen. Geschäfts­lei­tung und Betriebs­rat einig­ten sich auf eine Redu­zie­rung des Per­so­nals von 1150 auf 800 und auf eine Zah­lung von Abfin­dun­gen in den Fäl­len betriebs­be­ding­ter Kün­di­gun­gen. Erfreu­li­cher­wei­se hat­ten die meis­ten der ent­las­se­nen Mit­ar­bei­ter schnell eine neue Tätig­keit gefun­den, denn der Arbeits­markt boom­te. Aber die fol­gen­den Jah­re mach­ten einen wei­te­ren Per­so­nal­ab­bau erfor­der­lich. 1975 stell­te ILO die Pro­duk­ti­on von Schnee­schlit­ten­mo­to­ren ein. Die Druck­gie­ße­rei wur­de Anfang 1976 geschlos­sen. Zu die­sem Zeit­punkt arbei­te­ten noch 320 Beschäf­tig­te in den für das Geschäfts­vo­lu­men nun über­di­men­sio­nier­ten Hallen.

Ein erneu­ter Wech­sel in der Geschäfts­füh­rung und der 1977 voll­zo­ge­ne Ver­kauf des Unter­neh­mens an die ame­ri­ka­ni­sche Tecum­seh Pro­ducts Com­pa­ny brach­ten ILO wie­der in ruhi­ge­res Fahr­was­ser. Der neue Gesell­schaf­ter bau­te Kom­pres­so­ren, Getrie­be und, wie ILO, Zwei- und Vier­takt­mo­to­ren. Mit dem Erwerb des Pin­ne­ber­ger Betriebs soll­te eine Aus­wei­tung der eige­nen Akti­vi­tä­ten auf den euro­päi­schen Märk­ten und die Stär­kung der Posi­ti­on als Moto­ren­an­bie­ter erfol­gen. Es wur­de ein Ersatz­teil­la­ger zur Ver­sor­gung der euro­päi­schen Tecum­seh Moto­ren­kun­den ein­ge­rich­tet. ILO kon­zen­trier­te sich nun auf den Bau von All­zweck­mo­to­ren für die Berei­che Land­wirt­schaft, Bau und Indus­trie. Und ILO Moto­ren lie­fen zuver­läs­sig z.B. in Sprüh­ge­rä­ten zur Schäd­lings­be­kämp­fung, Kehr­ma­schi­nen, Rasen­mä­hern, Pum­pen, Kom­pres­so­ren, Motor­win­den und Erd­ver­dich­tern. Inten­siv wur­de an einer wei­te­ren tech­ni­schen Ver­bes­se­rung des Moto­ren­pro­gramms gear­bei­tet. Der Rück­gang der Pro­duk­ti­on konn­te gestoppt wer­den. Es wur­den wie­der leich­te Zuwäch­se beim Moto­ren­ab­satz erzielt. Im Aus­lands­ge­schäft war man aller­dings stark abhän­gig von in der Men­ge inter­es­san­ten Aus­schrei­bungs­auf­trä­gen ins­be­son­de­re nach Afri­ka. Kamen sie wegen Finan­zie­rungs­pro­ble­men oder eines bes­se­ren Kon­kur­renz­an­ge­bots nicht zustan­de, gab es Beschäf­ti­gungs­pro­ble­me, die teil­wei­se nur mit Kurz­ar­beit gelöst wer­den konn­ten. Die inten­si­ve Suche nach einem wei­te­ren „Stand­bein“ galt der ver­bes­ser­ten Aus­las­tung des lau­fend moder­ni­sier­ten Maschi­nen­parks. Die so genann­te Auf­trags­fer­ti­gung beinhal­te­te z.B. die Lie­fe­rung von Kur­bel­wel­len an nam­haf­te Her­stel­ler. Sie erreich­te jedoch kei­ne Grö­ßen­ord­nung, die die Aus­las­tung ent­schei­dend ver­bes­sern konn­te. Leer­ste­hen­de Pro­duk­ti­ons­flä­chen wur­den teil­wei­se ver­mie­tet. Und man schrieb „schwar­ze Zahlen“.

1986 fei­er­te ILO das 75-jäh­ri­ge Fir­men­ju­bi­lä­um. Im Rah­men eines Tages der offe­nen Tür kamen vie­le Besu­cher noch ein­mal in den einst­mals größ­ten Pin­ne­ber­ger Betrieb. Vor Mit­ar­bei­tern und Ehren­gäs­ten zeig­te sich die Geschäfts­füh­rung opti­mis­tisch, dass in den Fol­ge­jah­ren wei­te­re neue Geschäfts­fel­der erschlos­sen wer­den könn­ten. Aber spä­tes­tens 1988 wur­de deut­lich, dass die Basis des Geschäfts zu schmal war. Nach dem Ver­lust eini­ger wich­ti­ger Abneh­mer sank der Umsatz zwi­schen 1986 und 1989 um 6 Mil­lio­nen DM. Ein mit gro­ßem Auf­wand und vie­len Hoff­nun­gen ent­wi­ckel­ter Rasen­mä­her­mo­tor muss­te wegen tech­ni­scher Pro­ble­me vom Markt genom­men wer­den. Seit 1987 mach­te das Unter­neh­men Ver­lus­te. 1990 beschloss Tecum­seh die Schlie­ßung des Werks in Pin­ne­berg. Unter betrieb­wirt­schaft­li­chen Aspek­ten war dies eine fast zwangs­läu­fi­ge Ent­schei­dung, denn welt­weit bestand eine Über­ka­pa­zi­tät im Bereich der Moto­ren­fer­ti­gung. Tecum­seh war durch Kauf eines Moto­ren­her­stel­lers in Ita­li­en wei­ter­hin in Euro­pa prä­sent. Der Ver­such von Geschäfts­füh­rung, Betriebs­rat und IG Metall, eine Auf­fang­ge­sell­schaft zur Fort­füh­rung der geschäft­li­chen Akti­vi­tä­ten zu grün­den, schei­ter­te. So blieb für die zuletzt noch 186 Beschäf­tig­ten nur der Trost einer Abfin­dung nach einem Sozi­al­plan. Auch die Ansprü­che auf Betriebs­ren­te waren gesichert.

Zum 31.Dezember 1990 schlos­sen sich die Werks­to­re für immer. Damit ende­te ein wesent­li­ches Kapi­tel Pin­ne­ber­ger Industriegeschichte.