Sonderausstellung

Mit Nadel und Faden

Pin­ne­ber­ger Schick für den Hochadel
„Mit Nadel und Faden“ — Aus­stel­lung im Stadtmuseum

fs Pin­ne­berg — Es ist noch gar nicht solan­ge her — und doch können‘s sich vie­le heu­te schon gar nicht mehr vor­stel­len: Die Stadt Pin­ne­berg war ein­mal ein wich­ti­ger Stand­ort für das Beklei­dungs­hand­werk und die Tex­til­in­dus­trie. Wer das nicht glau­ben mag, der soll­te in den kom­men­den Wochen die Aus­stel­lung „Mit Nadel und Faden.. — Arbei­ten in Pin­ne­berg“ im Stadt­mu­se­um (Altes Amts­ge­richt) besu­chen. Dort hat Muse­ums­chefin Ina Dug­gen eine klei­ne, äußerst fei­ne Aus­stel­lung auf die Bei­ne gestellt, die für Mode-Freaks und Hei­mat­for­scher glei­cher­ma­ßen inter­es­sant sein dürfte.
Grund­stock der Aus­stel­lung bil­den Tei­le aus dem umfang­rei­chen Nach­laß der Fir­ma Reif­ri in der Müh­len­stra­ße. In dem 1924 in Ham­burg gegrün­de­ten Unter­neh­men, das in den 40er Jah­ren nach Pin­ne­berg ver­legt wur­de und das bis 1986 exis­tier­te, arbei­te­ten einst rund 200 Beschäf­tig­te. Die Pro­duk­te made in Pin­ne­berg wuß­te einst selbst der Hoch­adel zu schät­zen — Queen-Schwes­ter Mar­ga­ret bei­spiels­wei­se nann­te einen soli­den grü­nen Loden­man­tel aus dem Hau­se Reif­ri ihr eigen.
1980 wur­de das Unter­neh­men sogar zum offi­zi­el­len Aus­rüs­ter der deut­schen Olym­pia-Mann­schaft benannt — scha­de nur, daß die Deut­schen dann gar nicht an den Spie­len in Mos­kau teilnahmen!
Ein ande­rer Bereich der Aus­stel­lung beschäf­tigt sich mit einem wei­te­ren für die Stadt­ge­schich­te wich­ti­gen Betrieb: die Regen­man­tel-Fir­ma Wil­le an der Bahn­hof­stra­ße, die mehr als 100 Jah­re, näm­lich von 1859 bis 1975, existierte.
Nicht 100 Jah­re, aber mehr als 50 Jah­ren war Kurt Dani­els als Schnei­der in Pin­ne­berg aktiv. Der mitt­ler­wei­le 77jähnge hat nicht nur Tei­le sei­ner Werk­statt, son­dern auch sei­ne per­sön­li­chen Erin­ne­run­gen für die Aus­stel­lung zur Ver­fü­gung gestellt. Gute Erin­ne­run­gen hat Dani­els bei­spiels­wei­se an sei­ne Hoch­zeit 1945, da muß­te er sich näm­lich einen Anzug lei­hen — als Schneider!
Die Ver­nis­sa­ge beginnt am Sonn­tag um 11 Uhr. Bis zum 17. Janu­ar kann die Schau diens­tags bis frei­tags von 17 bis 19 Uhr sowie sonn­abends von 11 bis 13 Uhr besucht wer­den. Schul­klas­sen kön­nen geson­der­te Ter­mi­ne ver­ein­ba­ren (04101/ 20 74 65).

Pin­ne­ber­ger Zei­tung, 21.10.1997

Als Klei­dung noch Kul­tur­gut war
Stadt­mu­se­um Pin­ne­berg stellt tra­di­tio­nel­les Hand­werk vor

Mari­an­ne Meit­zler, die Toch­ter von „Reifri“Gründer Fritz E. Rei­chelt, stell­te die meis­ten Expo­na­te für die Aus­stel­lung zur Ver­fü­gung. Sie hat­te als Kol­lek­ti­ons­ge­stal­te­rin im väter­li­chen Betrieb gear­bei­tet und Inven­tar sowie Model­le aufgehoben.

Von Bert­hold Wagner

Pin­ne­berg. „Also, das wäre doch auch heu­te noch durch­aus schick!“ Die vie­len Besu­cher im Alten Amts­ge­richt begut­ach­te­ten stau­nend die Tex­ti­li­en der Fir­ma „Reifri“und stu­dier­ten die groß­for­ma­ti­gen Wer­be­fo­tos mit Bei­spie­len aus den Kol­lek­tio­nen des ehe­ma­li­gen Pin­ne­ber­ger Mode­her­stel­lers. Kaum jemand woll­te wahr­ha­ben, daß es sich bei die­sen Model­len um Muse­ums­stü­cke han­deln soll­te — und doch sind die Män­tel und Jacken Zeu­gen einer ver­gan­ge­nen Zeit. Indem Gebäu­de, das dem Stadt­mu­se­um als Domi­zil dient, fand die Eröff­nung der Aus­stel­lung „Mit Nadel und Faden“ statt, mit der an eine Epo­che erin­nert wur­de, als sich das Beklei­dungs­ge­wer­be noch einer bes­se­ren Kon­junk­tur erfreute.
Eini­ge Besu­cher ver­gli­chen mit gemisch­ten Gefüh­len die Expo­na­te mit der eige­nen Beklei­dung. Der Nie­der­gang der ein­hei­mi­schen Tex­til­bran­che, so ver­deut­licht die Aus­stel­lung, hängt vor allem mit der Ver­la­ge­rung der Pro­duk­ti­on ins Aus­land und dem Über­an­ge­bot zusam­men. Die in Bil­lig­lohn­län­dem her­ge­stell­te Klei­dung beherrscht zuneh­mend den hie­si­gen Markt — die kri­ti­sche Prü­fung des Kauf­ver­hal­tens dräng­te sich da auf.
Moni­ka Zeu­mer von der Gewerk­schaft Tex­til und Beklei­dung, die in ihrer Anspra­che die­se Ent­wick­lung auf­zeig­te, bedau­er­te die Ver­ein­heit­li­chung der heu­ti­gen Mode: „Ob sie sich heu­te in Paris, Stock­holm oder sonst irgend­ei­ner euro­päi­schen Groß­stadt auf­hal­ten — die Leu­te tra­gen über­all die glei­chen T‑Shirts.“ Ver­lo­ren gin­ge damit auch ein Stück Per­sön­lich­keit, denn Beklei­dung sei immer ein Stück Kul­tur­gut gewesen.
Mit dem Kapu­zen­man­tel „Poe­sie“ oder dem Modell „Petu­la“, einem preis­ge­krön­ten Schnitt­man­tel mit far­big unter­leg­tem Napo­le­on­kra­gen, Man­schet­ten und kam­mer­bund­ar­ti­gem Gür­tel mit far­bi­gen Schnal­len­rie­geln wäre so ein Iden­ti­täts­ver­lust wohl nie­mals mög­lich gewe­sen — und noch weni­ger mit dem Loden­man­tel „Ilo­na“, des­sen edler Schnitt in den 70er Jah­ren sogar Prin­zes­sin Mar­ga­ret, Schwes­ter der Queen, zum Kauf bewegt hatte.
Die Preis­schil­der die­ser im Ori­gi­nal gezeig­ten Model­le ver­rie­ten, daß sie auch für den „Nor­mal­ver­die­ner“ erschwing­lich waren, im Gegen­satz zu den Maß­an­fer­ti­gun­gen des Schnei­der­meis­ters Kurt Dani­el, dem „Letz­ten sei­ner Zunft“ in Pin­ne­berg. Für einen von ihm in 38 Arbeits­stun­den aus eng­li­schem Tuch ange­fer­tig­ten Anzug zahl­ten sei­ne Stamm­kun­den mehr als zwei Tausender.
Eine Schnei­der­werk­statt mit den typi­schen Arbeits­ge­rä­ten, wie einem acht Kilo schwe­rem Bügel­eisen, gehört eben­so zu der Aus­stel­lung wie das Modell eines Grup­pen­ar­beits­plat­zes von Nähe­rin­nen aus der indus­tri­el­len Fer­ti­gung. „Mit Nadel und Faden“ ist der Auf­takt einer Rei­he, in deren Ver­lauf Ina Dug­gen tra­di­tio­nel­les Hand­werk und Gewer­be der Kreis­stadt doku­men­tie­ren will. Die Muse­ums­lei­te­rin: „Auch die fol­gen­den Aus­stel­lun­gen sol­len durch Mit­wir­kung von Zeit­zeu­gen leben­dig gestal­tet werden.“
Die aktu­el­le Aus­stel­lung endet am 17. Januar.

Pin­ne­ber­ger Tage­blatt, 3.12.97