Dauerausstellung, Wirtschaft

Binné & Sohn: Eine Firma und drei „Geburtstage“ Pinneberger Unternehmen noch heute in Erfolgsspur

Betrach­tet man die Geschich­te der Fir­ma Bin­né & Sohn, gibt es genau genom­men drei „Geburts­ta­ge“ zu fei­ern: Die Jah­re 1853, 1879 und 1894. Bereits 1853 grün­de­te Ernst-Lud­wig Bin­né an der Kop­pel­stra­ße ein Han­dels­ge­schäft für Dro­ge­rie- und Kolo­ni­al­wa­ren. Heil­kräu­ter, Tees, ara­bi­scher Gum­mi, Far­ben und Talg­lich­ter waren hier genau­so erhält­lich wie Tabak, Pfei­fen und selbst her­ge­stell­te Zigarren.

Von Jani­ne Dressler.

Binné & Sohn Werksgelände in den 50ern

Bin­né & Sohn Werks­ge­län­de in den 1950ern

Ernst-Lud­wig Bin­né nahm 1879 sei­nen Sohn Anton in sein Geschäft auf, nach­dem die­ser eine Aus­bil­dung bei einem Ham­bur­ger Apo­the­ker gemacht hat­te. Gemein­sam grün­de­ten sie Bin­né & Sohn, so war die­ses Jahr das eigent­li­che Grün­dungs­jahr der Fir­ma. Bin­né & Sohn war eine Dro­gen- und Kolonialwarenhandlung.

1885 zog Anton Bin­né mit dem Geschäft in die Ding­stät­te. Durch sei­ne Kon­tak­te zu Ham­bur­ger Apo­the­ken gelang es ihm, eine 30 Jah­re alte Apo­the­ken­ein­rich­tung für das Geschäft zu erwer­ben, die heu­te noch in der Par­fü­me­rie Böde­cker zu sehen ist. Die Fir­ma ent­wi­ckel­te sich ste­tig wei­ter. 1892 bau­te Anton Bin­né einen Spei­cher an das Geschäfts­haus an. Das Geschäft ent­wi­ckel­te sich zu einer Groß­han­dels­fir­ma, die die klei­nen umlie­gen­den Geschäf­te belie­fer­te, aber auch wei­ter­hin im Ein­zel­han­del tätig war.

1894 grün­de­te Anton Bin­né die eigent­li­che Dach­pap­pen­fa­brik und leg­te damit den Grund­stock für das heu­ti­ge Unter­neh­men. Spä­ter fand eine Tren­nung zwi­schen dem Han­dels­ge­schäft und der Dach­pap­pen­fa­brik statt. Mit sei­nem Sohn Hugo führ­te Anton Bin­né die Dach­pap­pen­fa­brik, und sein Sohn Ernst über­nahm das Han­dels­ge­schäft. Dach­pap­pe wur­de damals her­ge­stellt aus Roh­filz­pap­pe und Gas­an­stalts­teer, einem Abfall­pro­dukt der Gas­an­stal­ten. Bin­né & Sohn bezog den Teer unter ande­rem von der Pin­ne­ber­ger Gasanstalt.

Um 1910 wur­den zuneh­mend Bitu­men­dach­pap­pen ver­trie­ben, auch Anton und Hugo Bin­né erwei­ter­ten ihr Sor­ti­ment dahin­ge­hend. Hugo Bin­né hat­te ein sehr gutes tech­ni­sches Ver­ständ­nis, was für den Betrieb von gro­ßem Nut­zen war. So ent­wi­ckel­te er eine Dampf-Vaku­um-Teer­de­stil­la­ti­on, durch die eine bes­se­re Imprä­gnie­rungs­mas­se und Qua­li­tät der Dach­pap­pen erzeugt wer­den konnte.

1913/14 wur­de eine neue und moder­ne Maschi­nen­an­la­ge für Bitu­men­dach­pap­pen errich­tet. Doch der Ers­te Welt­krieg­brach aus, und die Anla­ge konn­te nicht mehr in Betrieb genom­men wer­den — Bitu­men stand wäh­rend der Kriegs­jah­re nicht zur Ver­fü­gung. Alle noch vor­han­de­nen Roh­stof­fe wur­den ver­ar­bei­tet, die bereits pro­du­zier­ten Waren ver­kauft; dann wur­de die Pro­duk­ti­on der Bitu­men­dach­pap­pen ein­ge­stellt. Die Teer­pap­pen­pro­duk­ti­on lief wäh­rend der Kriegs­jah­re wei­ter. Die neue Anla­ge konn­te erst 1924 in Betrieb genom­men wer­den. Mit eini­gen Pro­ble­men: Die Maschi­nen lie­fen nicht wie geplant und die Her­stel­lungs­tech­nik war bereits ver­al­tet. Erheb­li­che Umbau­ten waren not­wen­dig. Ein wei­te­rer Schick­sals­schlag folg­te 1927, als ein Groß­feu­er die Teer­pap­pen­fa­brik völ­lig zer­stör­te und die Teer­de­stil­la­ti­on schwer beschä­dig­te. Das Groß­feu­er und die Welt­wirt­schafts­kri­se brach­ten den Betrieb bei­na­he zum Erliegen.

1932/33 über­nah­men die bei­den Söh­ne von Hugo Bin­né den Betrieb: Wer­ner und Dr. Hugo Bin­né. Wer­ner hat­te eine kauf­män­ni­sche Aus­bil­dung und Hugo ein abge­schlos­se­nes Che­mie­stu­di­um. Durch die unter­schied­li­che Aus­bil­dung ergänz­ten sich die bei­den Brü­der sehr gut in der Geschäfts­füh­rung. Ab 1933 ging es mit der Wirt­schaft berg­auf und die Brü­der konn­ten ihre Posi­ti­on auf dem Markt stär­ken – nicht zuletzt auch durch die vie­len Wehr­machts­bau­ten, die zu die­sem Zeit­punkt errich­tet wur­den. Doch die Ent­wick­lung wur­de durch ein zwei­tes Groß­feu­er gebremst, das 1936 die Bitu­men­pap­pen­fa­brik voll­stän­dig ver­nich­te­te. Bereits 1937 stand aber wie­der eine neue Pro­duk­ti­ons­an­la­ge. Wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges muss­te die Bitu­men­pap­pen­fa­brik wie bereits im Ers­ten Welt­krieg still­ge­legt wer­den. Die Teer­pap­pen­fa­brik und die Teer­pap­pen­de­stil­la­ti­on arbei­te­ten wäh­rend der Kriegs­jah­re weiter.

Nach Kriegs­en­de herrsch­te ein gro­ßer Bedarf an Dach­pap­pen, zum Bei­spiel für Not­un­ter­künf­te, Repa­ra­tu­ren an bom­ben­ge­schä­dig­ten Häu­sern und für Neu­bau­ten. 1945 zer­stör­te erneut ein Groß­feu­er gro­ße Tei­le des Betriebs: Lager­ge­bäu­de und die Teer­pap­pen­fa­brik wur­den völ­lig zer­stört. Die wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges still­ge­leg­te Bitu­men­dach­pap­pen­an­la­ge wur­de auf Teer­dach­pap­pen umge­stellt und wie­der in Betrieb genom­men. Erst ab 1947 war Bin­né & Sohn in der Lage, sowohl Teer- als auch Bitu­men­pap­pen herzustellen.

In den 1950er Jah­ren wur­de die Pap­pe durch einen neu­en Trä­ger­stoff ver­drängt: das Glas­vlies. Bin­né & Sohn erkann­te recht­zei­tig die­se Wen­dung und stell­te die Pro­duk­ti­on auf Glas­vlies­bah­nen um. In den 1950er Jah­ren waren Eisen­bahn­wag­gons nicht nur auf den Glei­sen son­dern auch auf den Stra­ßen in Pin­ne­berg zu sehen auf Schwer­gü­ter-Spe­zi­al­fahr­zeu­gen für den Stra­ßen­trans­port. Bin­né & Sohn nutz­te ab 1955 als ers­ter Betrieb in Pin­ne­berg die­sen so genann­ten „Cule­mey­er“ zum Trans­port ihrer mit Bitu­men gefüll­ten Kes­sel­wa­gen. In den Jah­ren zuvor hat­te das hei­ße Bitu­men aus den Kes­sel­wa­gen müh­sam in Fäs­ser gefüllt wer­den müs­sen, damit man es zum Betriebs­ge­län­de trans­por­tie­ren konnte.

Immer mehr ver­dräng­ten Bitu­men­dach­pap­pen die Teer­dach­pap­pen. 1968 wur­de die Teer­de­stil­la­ti­on still­ge­legt und die Her­stel­lung von Teer­dach­pap­pen ein­ge­stellt. Wäh­rend frü­her zur Wär­me­däm­mung des Dachs Kork­plat­ten ver­wen­det wur­den, die Bin­né & Sohn unter ande­rem aus Spa­ni­en impor­tier­te, kam in den 1960er Jah­ren eine neue Ent­wick­lung auf den Markt: ein Kunst­stoff­schaum aus Poly­sty­rol. Dr. Hugo und Wer­ner Bin­né erkann­ten die­sen Trend und ent­schlos­sen sich zum Bau einer Maschi­nen­an­la­ge, um Poly­sty­rol-Hart­schaum her­zu­stel­len. Die­se wur­de 1971 in Betrieb genom­men. In den dar­auf fol­gen­den Jah­ren wur­den die Anla­gen zur Dach­bah­nen­her­stel­lung erheb­lich erwei­tert. Noch heu­te prä­gen gro­ße Silo- und Tank­an­la­gen mit den dazu­ge­hö­ri­gen voll­au­to­ma­ti­schen Trans­port­bän­dern und Rohr­lei­tun­gen das Bild des Betriebs.

Zwi­schen 1958 und 1968 tritt die fünf­te Genera­ti­on der Fami­lie in das Unter­neh­men ein mit Horst, Klaus und Bernd Bin­né, den Söh­nen von Dr. Hugo und Wer­ner Bin­né. Tech­ni­sche Inno­va­tio­nen sowie For­schungs- und Ent­wick­lungs­ar­bei­ten sind auch heu­te noch ein wich­ti­ger Fak­tor für die Qua­li­tät bei Bin­né & Sohn. So pro­du­ziert das Unter­neh­men heu­te zum Bei­spiel Poly­mer Spe­zi­al Dach­bah­nen, die selbst­kle­bend sind und nicht mehr auf dem Dach geschweißt wer­den müs­sen. Zur Pro­dukt­pa­let­te gehö­ren außer­dem Wur­zel­schutz­bah­nen, Dach­be­grü­nungs­sys­te­me und Dach­dämm­stof­fe oder Zusatz­pro­duk­te wie Kle­be­mas­sen. So wur­den zum Bei­spiel beim Bau der vier­ten Elb­tun­nel­röh­re Wur­zel­schutz­bah­nen von Bin­né & Sohn ver­wen­det, und auf dem Dach der neu­en Rat­haus­pas­sa­ge lie­gen Dach­bah­nen von Bin­né & Sohn.

Der Betrieb gehört heu­te zu den füh­ren­den Anbie­tern der Bran­che und pro­du­ziert mit sei­nen 140 Mit­ar­bei­tern bis zu 13 Mil­lio­nen Qua­drat­me­ter Dach- und Dich­tungs­bah­nen pro Jahr. Ver­kauft wer­den die Pro­duk­te an Groß­han­dels­fir­men, den Fach­han­del sowie die Dach­de­cker-Ein­kaufs­ge­nos­sen­schaf­ten. Seit 1993 und 2000 ist durch Micha­el und Thi­lo Bin­né die sechs­te Genera­ti­on der Fami­lie Bin­né im Betrieb vertreten.