Schon 1980 wurde das Foto eines amerikanischen B‑17 Bombers, der im zweiten Weltkrieg abgeschossen und am Hollandweg in Pinneberg niedergegangenen ist, im Buch „Alt Pinneberg“ von Dieter Beig veröffentlicht. In dem Zusammenhang berichtete ein Augenzeuge von der Ermordung eines alliierten Fliegers in Appen durch einen fanatischen Nationalsozialisten, jedoch gab es keinerlei Dokumente zum Hergang der Geschehnisse. Erst aufgrund eines Gutachtens über mögliche Kampfmittelbelastungen im Bereich der Eggerstedt-Kaserne, das für die Oberfinanzdirektion Niedersachsen erstellt wurde, war es möglich dieses Kriegsereignis aufzuklären.
Dieser Bomber gehörte zum Geschwader 526 der amerikanischen 379 Bombardements Group, die in Kimbolton, Cambridgeshire/England stationiert war. Der Flugplatz war 1941 erbaut und 1942 an die amerikanische Luftwaffe übergeben worden. Am 21. Mai 1943 traf die 379th Bombardment Group (Heavy) aus Sioux City, Iowa, ein, ausgerüstet mit den „fliegenden Festungen“ Boeing B‑17 mit jeweils zehn Mann Besatzung. Aufgabe war die Bombardierung strategischer Ziele in Deutschland, Frankreich, Holland, Belgien, Norwegen und Polen. Die 379 Bombardment Group war eine der wichtigsten alliierten Bombergruppen und hatte bis Kriegsende 26.459 Tonnen Bomben abgeworfen. Die Einheit wurde im Juni 1945 in Casablanca demobilisiert.
Am Sonntag, dem 18. Juni 1944 5:56 Uhr startete ein Verband von 20 B‑17 von Kimbolton und warf seine Bombenlast 13 Minuten lang bis 9:48 Uhr aus 7.400 Metern Höhe über Blohm und Voss im Hamburger Hafen ab. 19 der Bomber waren mit je 18 250 lb Sprengbomben und ein Bomber mit 10 Behältern voller Flugblätter beladen. Der Verband traf auf keinerlei deutsche Flugzeuge, wurde aber von der Flak beschossen. Dabei erhielt eine Maschine 9:49 Uhr Treffer in einen Motor und die Tragfläche und geriet in Brand, blieb aber zunächst halbwegs manövrierfähig. Die Mannschaft sprang mit dem Fallschirm ab. Die Maschine zerbrach und das große Heckteil ging gegen 9:50 Uhr am Hollandweg in Pinneberg-Eggerstedt nieder.
Drei Besatzungsmitglieder wurden tot aufgefunden, möglicherweise durch den Flak-Beschuss schon schwer verletzt: Milton Miller am Blankeneser Strandweg, Eugene Miller und Rutishauser in der Nähe Pinnebergs. Milton Miller bestattete man in Sülldorf, Eugene Miller und Charles Rutishauser am 20. Juni in Rellingen. Drei Besatzungsmitglieder gingen am Fallschirm unversehrt zwischen Blankenese, Hahnhöfer Sand, Klövensteen und Pinneberg nieder, wurden gefangen genommen und über die Flugplätze Uetersen und Fuhlsbüttel zur Sammelstelle West nach Oberursel überführt.
Das Besatzungsmitglied Zygfrid Czarnecki aus Pennsylvania wurde in Appen Opfer eines Kriegsverbrechens. Als 1944 die alliierte Luftüberlegenheit immer massiver wurde und die Tieffliegerangriffe zunahmen, deutete Propagandaminister Goebbels an, dass die deutsche Bevölkerung „in ihrer begreiflichen Erregung“ notgelandete feindliche Flieger lynchen könne, mithin der Schutz der Genfer Konvention nicht mehr gelte. Der Pinneberger Bürgermeister Coors hielt dies zunächst für Propaganda.
“Als ich dann aber in meiner Eigenschaft als Bürgermeister und Polizeiverwalter Kenntnis von einem Geheimbefehl des damaligen Reichsführers SS und Chef der deutschen Polizei Himmler an die Polizei erhielt, in solchen Fällen nicht einzugreifen, habe ich der mir unterstellten Polizei den gegenteiligen Befehl gegeben, in jedem Falle der Notlandung feindlicher Flieger diese auf schnellstem Wege in polizeilichen Gewahrsam zu nehmen und unverzüglich an die zuständige Wehrmachtsdienststelle Fliegerhorst Uetersen abzuliefern. Dabei sei jeder Versuch der Misshandlung der Gefangenen durch die Zivilbevölkerung mit allen Mitteln zu verhindern.”
Den Tathergang in Appen schilderte der Hauptzeuge Johnny Wohlers am 14.6.1946 dem Captain K. M. S. Rantzau von der War Crimes Investigation Unit folgendermaßen: „Im Sommer 1944, als ich Gendarmerie-Wachtmeister d. Res. war, wurde nach einem Fliegerangriff ein Flugzeug abgeschossen. Ich sah einen Piloten mit Fallschirm zwischen Appen und Etz landen. Per Rad fuhr ich zu der angegebenen Stelle und fand den Gefr. Pein vor, der den Flieger bereits festgenommen hatte. Ich übernahm den Gefangenen und brachte ihn in meine Wohnung zwecks Aufnahme der Personalien. Hierbei stellte ich fest, dass der Flieger amerikanischer Nationalität war. Währenddessen erfolgte ein Anruf des SA-Sturmführers Langeloh von der Kreisleitung Pinneberg, der besagte, dass Langeloh den Gefangenen abholen und übernehmen wollte. Ich protestierte dagegen, aber Langeloh erschien und forderte mich auf, den Gefangenen herauszugeben. Langeloh wollte den Gefangenen zum Fliegerhorst bringen. Ich sandte ihm unauffällig den Landwachtmann Hans Runge, jetzt Gärtner in Appen Kr. Pinneberg, nach. Nach etwa 20 Min. kam Langeloh zurück und sagte „Es ist vollbracht, machen Sie die Straße frei.“
Langeloh ging fort, und ich fuhr per Rad die Strecke nach. In der Nähe des Dorfes fand ich den Flieger im Graben liegend mit einer Genickschusswunde noch röchelnd vor. Runge, der den Vorfall aus der Nähe beobachtet hatte, befand sich bei ihm, um die Menschenmenge abzuhalten. Daraufhin besorgte ich ein Gespann und brachte den Gefangenen nach dem Fliegerhorst und übergab ihn zur ärztlichen Versorgung einem Stabsarzt. Später erkundigte ich mich und hörte von einem Hauptmann im Fliegerhorst, dass der Gefangene in ein Lazarett nach Hamburg überführt sei.“
Zigfryd Czarnecki war 21 Jahre alt. Der behandelnde Arzt auf dem Uetersener Flugplatz Dr. Edwin Wright erkannte die lebensgefährliche Verletzung und veranlasste die sofortige Verlegung des Fliegers in das Reservehospital No. 5 Hamburg-Wandsbek, wo er am nächsten Morgen verstarb. Carnecki wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt.
Der Kellner Wilhelm Langeloh, Jahrgang 1891, war SA-Sturmführer und Mitglied der NSDAP-Kreisleitung. Dort bekleidete er den Posten des Kreisorganisationleiters. Er fuhr am 18.6.1944 mit dem Motorrad nach Appen, nachdem er telefonisch angegeben hatte, im Auftrage von NSDAP-Kreisleiter Sievers zu handeln. Dies ist nicht auszuschließen, da Sievers offen zur Lynchjustiz an alliierten Fliegern aufgerufen hatte. In dem Ermittlungsbericht der Kriminalpolizei Hamburg vom 13. April 1948 für das Spruchgerichtsverfahren gegen Sievers hieß es zu diesem Thema: „Ein besonderes Verbrechen muss dem S.(ievers) zur Last gelegt werden, und zwar hat er persönlich, wie aus den Zeugenaussagen 3 u. 7 hervorgeht, auf einer großen Volkssturmkundgebung aufgerufen, jeden abgesprungenen feindlichen Flieger umzulegen. Aus der Zeugenaussage 16 ist ersichtlich, dass selbst in den Schulen zur Lynchjustiz aufgerufen worden ist. Als Folge der von S. propagierten Lynchjustiz wurde bei Appen ein abgesprungener englischer Flieger durch einen SA-Führer erschossen.“
Bei Kriegsende zog Langeloh es vor unterzutauchen. Die Alliierten bildeten Sondereinheiten zur Aufklärung von Kriegsverbrechen. Zunächst hatte u.a. die deutsche Gendarmerie den Militärbehörden Bericht über Vorkommnisse während der Kriegszeit zu erstatten. Am 7. März 1946 wurde ein offizielles Untersuchungsverfahren zu einem unbekannten Opfer und einem unbekannten Täter eingeleitet.
Am 22.8.1946 wurde Langeloh verhaftet, der aus Angst vor Bestrafung am 20.6.1945 den Namen Felix Bauer angenommen hatte. Die Verhandlung fand am 10./11.4.1947 in Dachau vor einem General Military Court statt und endete mit dem Schuldspruch wegen begangener Kriegsverbrechen. Am 5.8.1947 folgte eine zweite gründliche juristische Abwägung aller Aspekte des Falles und auch der Gnadengesuche von Langelohs Familie. Es blieb beim Todesurteil für begangene Kriegsverbrechen und Langeloh wurde gehenkt.